Zum Jahresende schaute der Walliser Boten mit den Fraktionschefs und mit Grossrats-Vertreter:innen der verschiedenen Parteien auf das Polit-Jahr 2021 zurück. Fabio Pacozzi sprach mit Brigitte Wolf.
Brigitte Wolf, täuscht der Eindruck, oder ist das Oberwallis, gerade auch gesellschaftspolitisch, linker geworden? Das ist mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Sie sprechen vielleicht die Abstimmung über die «Ehe für alle» an. Das Oberwalliser Resultat hat mich natürlich sehr gefreut. Bei anderen Abstimmungen wie z.B. dem Vaterschaftsurlaub stimmte das Oberwallis aber alles andere als «links».
Und auch nicht unbedingt grün…
Mir fällt keine Abstimmung ein, bei der das Oberwallis speziell «grün» abgestimmt hätte. Im Gegenteil: Wir haben das CO2-Gesetz genauso abgelehnt wie die Agrarinitiativen, die Fair-Food-Initiative usw. Was mir aber auffällt, ist, dass das Unterwallis zurzeit «grüner» stimmt als das Oberwallis.
Warum wohl?
Ein Grund dafür ist sicher, dass das Unterwallis in den letzten Jahrzehnten «städtischer» geworden ist. Vielleicht macht sich auch der Einfluss aus dem Kanton Waadt bemerkbar.
Dank dem Unterwallis sind die Grünen auch hierzulande kein politisches Leichtgewicht mehr. Wie lange werden die Oberwalliser Grünen bei Wahlen noch als Juniorpartner der SPO agieren?
Im Grossen Rat haben wir 13 Sitze, also genau zehn Prozent, aber leider erst einen Sitz im Oberwallis. Ziel ist sicher, dass wir in Zukunft auch im Oberwallis eigene Listen aufstellen. Doch die Strategie hängt auch von der politischen Situation ab und wird erst vor den Wahlen entschieden. Eine Hürde bildet zurzeit noch das Acht-Prozent-Quorum, das mit der neuen Verfassung herabgesetzt werden soll. Die gute Zusammenarbeit mit der SPO bleibt ein wichtiges Ziel – aber auf Augenhöhe und nicht als Juniorpartner.
Inzwischen gibt es auch im Oberwallis eine Grünliberale Partei. Befürchten Sie, dass die Grünen Wähleranteile an die GLP verlieren?
Ich bin froh um jede Partei, die sich um grüne Themen kümmert. Wobei die Grünliberalen eher eine Konkurrenz für die bürgerlichen Parteien darstellen. Die Menschen wollen immer mehr Klima- und Umweltschutz. Die GLP bietet ökologisch denkenden Bürgerlichen eine gute Alternative.
Das Engagement für Natur und Umwelt führt dazu, dass sich die Politik der Grünen bei der Raumplanung und beim Wolf direkt gegen die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung richtet. Sehen Sie das anders?
Ja, das sehe ich anders. Die Landschaft ist das Kapital eines Tourismuskantons. Der Schutz der Landschaft und des Klimas gehört also genauso zu den wirtschaftlichen Interessen unseres Kantons. Was ist falsch daran, die Raumplanung so zu gestalten, dass möglichst wenig Land verbaut wird? Zum Thema Wolf möchte ich zu bedenken geben: Wenn wir von Beginn an konsequent auf Herdenschutz gesetzt hätten, wären die wirtschaftlichen Folgen heute weniger gross.
Der Wolf greift aber auch Tiere in «geschützten» Situationen an…
Einen hundertprozentigen Schutz wird es nie geben. Von den vielen gerissenen Schafen befanden sich aber auch in diesem Sommer nur wenige in einer geschützten Situation. Zudem gibt es beim Herdenschutz noch Verbesserungspotenzial. Wir befinden uns in einer Lernphase.
Hat das Wallis ein Problem mit Grossraubtieren?
Das kann man wohl sagen. Aber das ist nichts Neues. Mittlerweile wissen wir seit mehr als 20 Jahren, dass sich der Wolf im Wallis ausbreiten wird. Doch anstatt das Problem ernsthaft anzugehen, nutzten einige bürgerliche Politiker das Thema auch als Wahlkampfthema. Damit kommen wir nicht weiter.
Wie und wo bieten die Grünen Hand, um die Problematik rund um den Wolf zu lösen?
Wir fordern seit langem mehr Unterstützung für die betroffenen Bauern. Ein Zusammenleben mit dem Wolf ist nur mit konsequentem Herdenschutz möglich. Allein mit dem Gewehr lösen wir das Problem nicht. Langsam aber sicher kommt auch der Grosse Rat zu diesem Schluss. In der Dezembersession hat das Parlament eine Million Franken für den Herdenschutz gesprochen. Zum ersten Mal stand die Lösung des Problems und nicht der Abschuss von Wölfen im Zentrum.
Die Grünen drängen auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Andererseits versuchen Umweltorganisationen den Bau neuer Wasserkraftwerke mit allen Mitteln zu verhindern…
Wir unterstützen das neue Energiegesetz von Roberto Schmidt praktisch auf ganzer Linie. Doch ich befürchte, dass dieses im Parlament zerzaust wird. Wir sind für den Ausbau der erneuerbaren Energien, aber nicht überall und nicht zu jedem Preis. Energie zum Nulltarif gibt es nicht. Es braucht immer Interessensabwägungen. Für die Grünen haben die Landschaft und die Biodiversität einen gleich hohen Wert wie die Energiewende. Wir müssen früher oder später auch über Suffizienz und Effizienz sprechen…
Wie meinen Sie das?
Das bedeutet, dass wir möglichst wenige Rohstoffe verbrauchen und die Energie möglichst effizient einsetzen müssen. So könnte man viele Produkte teilen statt besitzen, man könnte sie länger brauchen und so herstellen, dass man sie reparieren und am Ende der Lebensdauer recyceln kann. Beim Energieverbrauch ist technisch noch Vieles möglich. Wer hätte früher zum Beispiel gedacht, dass wie einst in Häusern leben, die Energie produzieren statt verbrauchen…
Gegen den Aufbau grossflächiger Photovoltaikanlagen haben Sie nichts?
Bei der Solarenergie haben wir das grösste Ausbaupotenzial. Der Bund rechnet mit einem Potenzial von 67 Terawattstunden allein auf Schweizer Hausdächern und -fassaden mit einer guten Sonneneinstrahlung. Dabei ist das Potenzial auf und an Strassen, auf Parkplätzen, Freiflächen usw. noch nicht eingerechnet. Der Ausbau der Solarenergie muss deshalb durch höhere Förderbeiträge, höhere Einspeisevergütungen und die Unterstützung von Solargenossenschaften beschleunigt werden. Ergänzend dazu schlagen die Grünen Oberwallis eine Solarpflicht für alle geeigneten Gebäude vor – analog der Berner Solarinitiative. Ebenso wichtig ist aber wie gesagt, dass wir die Energie effizienter nutzen und dass wir durch eine Veränderung im Konsum-, Wohn- und Mobilitätsverhalten weniger Energie benötigen.
Allein mit Solarstrom wird der Stromengpass nicht zu überbrücken sein. Es braucht doch auch den Ausbau der Wasserkraft.
Wichtig beim Ausbau der Wasserkraft ist, dass sämtliche Faktoren einbezogen werden, so wie dies als Resultat eines runden Tisches auf Einladung von Bundesrätin Simonetta Sommaruga gefordert wird. Es müssen die energetisch lohnendsten Projekte verwirklicht werden, die gleichzeitig mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und Landschaft umgesetzt werden können. Mit Ersatzmassnahmen müssen die Auswirkungen auf die Natur kompensiert werden.
Was denken Sie eigentlich über den neu zusammengesetzten Grossrat?
Der Grossrat wurde mit den Wahlen jünger, weiblicher und linker. Manchmal bin ich erfreut, was dadurch möglich geworden ist, manchmal staune ich aber auch, wie konservativ immer noch abgestimmt wird. Und manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass es im Parlament einen Reflex gegen alles gibt, was mit dem Schutz der Natur, der Biodiversität oder des Klimas zusammenhängt.
Vielleicht als Abwehrreaktion? Viele halten den Grünen vor, sie seien zu extrem, zu wenig kompromissbereit…
Das sehe ich anders. Wir sind durchaus bereit, Kompromisse einzugehen. Das CO2-Gesetz beispielsweise war ein gutschweizerischer Kompromiss, der sowohl von den Grünen und Linken, als auch von den meisten bürgerlichen Parteien getragen wurde. Dennoch scheiterte die Vorlage bei der Volksabstimmung.
Gekürzte Fassung im WB vom 27. Dezember 2021